Im Januar 2012 durchsucht die Bundespolizei die Büros von Gunvor in Genf. Die Ermittlungen dauern bis heute an. Public Eye hat sich angeschickt, Licht in diese undurchsichtige Geschichte zu bringen.
Am 3. Juli 2012, einem Dienstag, kommt Gunvor im Westschweizer Fernsehen zu einem prominenten Auftritt, auf den das Unternehmen gerne verzichtet hätte. Zu bester Sendezeit berichtet RTS, was sich im Januar zuvor in Genf zugetragen hat: Die Bundespolizei hat eine Razzia in den Büros von Gunvor durchgeführt. Die Justiz interessiert sich für suspekte Zahlungen im Zusammenhang mit Deals, die die Firma mit der SNPC, der staatlichen Erdölgesellschaft der Republik Kongo, abgeschlossen hat. Die Bundesanwaltschaft hegt den Verdacht, dass ein Teil der Kommissionen, die an zwei Mittelsmänner bezahlt wurden, am Ende bei kongolesischen Offiziellen gelandet sind. «Korruptionsgelder, gewaschen in der Schweiz», erklärt die Journalistin.
Hat Gunvor den Auftrag zur Bezahlung von Schmiergeldern gegeben, um an lukrative Öllieferungen zu gelangen? Oder konnte tatsächlich ein einzelner abtrünniger Angestellter im Unwissen seiner Chefs Millionen verschieben, wie das Unternehmen behauptet? Die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft dauern bis heute an.
Anfang 2016 nehmen wir uns der Sache an. Wir sprechen mit Dutzenden zumeist anonymen Quellen, analysieren Handelsdaten, verfolgen Tankerladungen zurück, berechnen Gewinne.
Und das haben wir herausgefunden.
Die Leitung steht. Was noch fehlt, sind die Argumente. Warum sollte sich der Kongo gerade Gunvor als Partner nehmen? Das Unternehmen setzt auf zwei Karten – und hat Erfolg.
Gunvor spielt im Poker mit der Republik Kongo zwei Karten aus: eine geopolitische und eine finanzielle. Das erste Ass ist das Versprechen, zwei Regierungen ins Gespräch zu bringen: die Republik Kongo und… Russland.
Die Firma, deren Miteigentümer es öffentlich als «Nonsens» abtut, seinen wirtschaftlichen Erfolg mit seiner Nähe zu Vladimir Putin zu assoziieren, legt als Hauptargument gegenüber den kongolesischen Behörden also genau diese Nähe in die Waagschale.
In Russland würden sich die Türen für Abkommen zur wirtschaftlichen Kooperation öffnen, sofern man ins Geschäft käme, verspricht Gunvor gemäss zwei unserer Quellen. Zudem werde sich der Kreml auch vor UN-Institutionen für die Republik Kongo einsetzen. Wie wir herausgefunden haben, fliegt Timtschenko 2010 den Präsidentensohn «Kiki» mit seinem Privatjet nach Moskau, wo sie den russischen Energieminister und die Chefs der grössten Erdölgesellschaften treffen. Es geht darum, zu beweisen, dass man tatsächlich Zugang zu den höchsten Kreisen Russlands hat.
Und Gunvor hat nicht geblufft: Im August 2011 unterschreiben Russland und die Republik Kongo ein Abkommen zur wirtschaftlichen Kooperation, in erster Linie im Energiesektor: Russland soll Firmen unterstützen, die in die kongolesische Ölindustrie investieren.
Das zweite Ass ist die Finanzkarte.
Denn für die notorisch korrupte und hochverschuldete Republik Kongo ist es schwer, von Banken zu vernünftigen Konditionen flüssige Mittel zu erhalten – im Gegensatz zum solventen Unternehmen Gunvor. Die Genfer Firma schlägt dem Kongo deshalb einen Deal vor: Wir geben euch einen Kredit, ihr gewährt uns Rabatte auf die Öllieferungen. «Vorfinanzierungen» nennt man das. Ohne Probleme findet Gunvor in BNP Paribas eine Bank, die der Firma einen Teil des Geldes leiht, welches diese wiederum an die kongolesische Erdölgesellschaft SNPC weitergibt. Gunvor wird somit zur Bank des Kongos – ohne allerdings den Regulierungen unterworfen zu sein, die für Banken gelten.
Gunvors Karten stechen: Im Juni 2010 unterschreibt «Kiki» einen ersten Vertrag mit der Genfer Firma – über drei Öllieferungen im Wert von je etwa hundert Millionen Dollar. Anfang 2011 wird ein Vertrag über 19 zusätzliche Tankerladungen abgeschlossen.
Insgesamt erhält Gunvor von 2010 bis 2012 22 Lieferungen Rohöl – im Wert von 2,2 Milliarden Dollar. Aufträge, die sicher auch die Konkurrenz interessiert hätten.
Nur: Die Aufträge werden unter der Hand vergeben. Das ist ein klarer Verstoss gegen den «code des marchés publics» der Republik Kongo, der eine öffentliche Ausschreibung verlangt. Gunvor wollte uns gegenüber dazu keine Stellung nehmen. «Kiki» seinerseits sagte lediglich, der Kongo sei «ein souveräner Staat» der seine Partner selbst wählen dürfe, was «in voller Transparenz und Legitimität» geschehen sei.
Géraldine Viret, Mediensprecherin von Public Eye, über die Kommunikationsstrategie von Gunvor.
C. jedenfalls ist nicht bereit, die alleinige Verantwortung für die Zahlungen zu übernehmen. Im März 2013 klagt er Gunvor wegen «falscher Anschuldigung» an. C. gibt gemäss unseren Informationen gegenüber der Justiz zu, dass er an der Bezahlung von Kommissionen beteiligt gewesen sei, die unter anderem dem kongolesischen Präsidentenclan zugute gekommen seien. Er habe dies jedoch in seiner Funktion als Angestellter und mit Wissen der Vorgesetzten getan.
Die Fortsetzung der Geschichte scheint zu bestätigen, dass wir es hier nicht mit dem Fall eines allein handelnden, abtrünnigen Mitarbeiters zu tun haben.
Gunvor will zurück ins Geschäft mit dem kongolesischen Öl. Wie weit wird die Firma dafür gehen? Die heimliche Aufnahme eines verhängnisvollen Gesprächs.
Wer bei Gunvor wusste von den suspekten Zahlungen? Während die Justiz versucht, diese Frage beantworten, hat die Firma eine andere Sorge: Wie kommen wir wieder in den kongolesischen Markt? Im Juli 2012 unterschreibt Gunvor einen neuen Vertrag mit Yoann Gandzion – genau, dem Mann, dessen Konten wegen verdächtiger Zahlungen eben von den Schweizer Behörden blockiert wurden. Zudem setzt Gunvor auf die Dienste eines weiteren Vermittlers, mit dem man schon zuvor gearbeitet hat: Oliver Bazin, genannt «Colonel Mario» – ein äusserst suspekter Geselle, wie Sie in der Sondernummer unseres Magazins lesen können.
2014 steht Gunvor tatsächlich ganz knapp davor, wieder mit dem Kongo ins Geschäft zukommen. Doch dann taucht ein Video auf.
Ebenfalls 2014 wenden sich die Anwälte von Pascal C. und Jean-Marc Henry an Gunvor. Mit einem Video, das die korrupten Methoden zeigen soll, die Gunvor in Afrika anwende. Und mit einem Angebot: Wenn Gunvor die juristische Klage gegen die beiden zurückziehe, bleibe die Aufnahme unter Verschluss. Da die Firma nicht reagiert, übergeben die Anwälte das belastende Material dem ermittelnden Staatsanwalt.
Wir haben das Video gesehen...
Für die Anwälte von Henry und C. ist das Video der Beweis, dass die Bezahlung von Kommissionen Teil von Gunvors Geschäftsmodell sei. Der Staatsanwalt klagt Bertrand G. wegen «Bestechung ausländischer Amtsträger» an. Auch Bazin wird verhört, heute arbeitet er unseren Informationen nach nicht mehr für Gunvor. Der 2014 mit der Republik Kongo abgeschlossene Vertrag für Öllieferungen wird annulliert.
Im September 2014 wird Bertrand G. von Gunvor entlassen. Nach unseren Informationen unterschreibt er ein Dokument, in dem er anerkennt, sich aus eigenem Antrieb mit Bazin und «André» getroffen zu haben. Der nächste «abtrünnige Mitarbeiter» also. 700 000 Dollar soll G. für diese Unterschrift gemäss einer Quelle erhalten haben. Gunvors Afrika-Desk befindet sich offenbar heute nicht mehr in Genf, sondern neu in Dubai – weit weg von der Schweizer Staatsanwaltschaft, die nach wie vor ermittelt.
Was zeigt uns dieser Fall?
Die Schweiz hat als Sitz von etwa 500 Rohstofffirmen, unter ihnen die grössten der Welt, eine besondere Verantwortung. Der Bundesrat hat zwar das Reputationsrisiko, das von diesem Sektor ausgeht, 2013 zum ersten Mal anerkannt. Doch nach wie vor setzt er auf den guten Willen der Rohstoffhandelsfirmen und ermahnt diese lediglich, dass er von ihnen ein «integres und verantwortungsvolles Verhalten» erwarte. Man kann das naiv nennen. Man kann es auch als heuchlerisch bezeichnen.
Die Abenteuer von Gunvor im Kongo zeigen ein weiteres Mal, dass der Bundesrat die Tätigkeiten dieser Unternehmen endlich mit verbindlichen Massnahmen regulieren muss.
Andreas Missbach, Verantwortlicher Rohstoff bei Public Eye, erklärt, warum die Schweiz handeln muss.
Sie wollen mehr wissen? Bestellen Sie unser 32-seitiges Sondermagazin zum Fall.
Sie wollen alles wissen? Lesen Sie unseren 68-seitigen Fachbericht auf Englisch oder Französisch.
Wo Konzerne lieber im Verborgenen agieren und die Politik dies zulässt, da schaut Public Eye ganz genau hin: Wir setzen uns mit Recherchen, Lobbyarbeit, Kampagnen und politischen Vorstössen dafür ein, dass Schweizer Unternehmen und die offizielle Schweiz ihre Verantwortung zur weltweiten Achtung der Menschenrechte wahrnehmen.
Werden auch Sie Mitglied von Public Eye oder unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende!